24 short films about JSB
Ein Projekt. Noch in der Entwicklung, im Nachdenk– und Erfindungsprozess. In Arbeit also. Darum geht es:
Johann Sebastian Bach, man kennt ihn, seine Musik liefert Gassenhauser, die Spatzen pfeifen seine Melodien von den Dächern. Doch die Wirkung geht auch tief, in alle Schichten. Kein anderer Komponist des Abendlandes hat – seit seiner Wiederentdeckung im 19. Jahrhundert – eine derartig breite, ungebrochene Wirkung. Auf Komponisten und ausübende Musiker, auf Theater– und Filmleute, auf Rundfunkhörer wie Konzertbesucher. Auf Kreative und Rezipienten. Und das weltweit. Wer sich ernsthaft und dauerhaft mit europäischer Musik beschäftigt, kann an Bach nicht vorbei.
Wir wollen in einem Film Geschichten über diese Musik erzählen, über ungewöhnliche Interpretationen, ungewohnte Zugänge, neue Sichten. Und wie die Musik Bachs unterschiedliche Formen nutzt, wird der Film in 24 Geschichten — in Anlehnung an die 2 mal 12 Tonarten des »Wohltemperierten Klaviers« — auch verschiedene Zugänge versuchen und kombinieren: In spielfilmartigen Szenen, dokumentarischen Beobachtungen, Konzertmitschnitten, Interviews oder freien Assoziationen zu Musik. Erste Dreharbeiten haben stattgefunden — worüber wir bald hier berichten werden.
Vier ausgewählte Beispiele von insgesamt 24 geplanten Geschichten (weitere kommen ständig hinzu):
Istanbul, Türkei, November 2011. Vartan ist Armenier, im Libanon geboren, in Berlin lebend — und Chef der Flying Steps, die an diesem Abend hier auftreten. Ihr Breakdance ist akrobatisch, artistisch, individuell – und doch in hohem Maße choreographiert. Fünf junge Männer und eine Frau erzählen eine Geschichte, bei der jugendlicher Freiheitsdrang auf klassische Formen prallt. „Clash of cultures“ nennen sie das, und ihre Performance ist so atemberaubend wie die Musik, zu der sie tanzen: Das wohltemperierte Klavier.
Kinshasa, Demokratische Republik Kongo, Sommer 2009. Nach über 100 Vorstellungen einer weltweiten Tournee finden hier die letzten Aufführungen von „Pitié“ statt. Es ist eine Produktion der in Belgien beheimateten Tanzcompagnie von Alain Platel. Das Ensemble ist international, im Zentrum steht ein junger farbiger Sänger. Seine Rolle: Jesus von Nazareth. Das Stück: eine durch den Komponisten Fabrizio Cassol geschaffene Bearbeitung der Matthäuspassion.
New York, 1968. Eine Zeit gesellschaftlicher, aber auch kultureller Revolten weltweit. Walter Carlos, Pianist, Komponist, Techniker und Computerpionier, assistiert Robert Moog bei der Entwicklung eines ersten verkaufbaren Synthesizers. Er nimmt eine Platte mit klassischer Musik im neuen, ungewohnten Klangbild auf, die in den kommenden Jahren viele internationale Auszeichnungen erhält und zur meistverkauften Klassik-Platte avanciert. Auf dem Cover ist ein korpulenter Herr in barockem Kostüm inmitten elektronischer Instrumente zu sehen. Der Titel der Platte: Switched-On Bach.
Berlin, 1944. Der Krieg zieht sich bereits vier Jahre hin, die Deutschen sind auf dem Rückzug, die Bevölkerung der Städte verbringt einen Großteil der Zeit in den Luftschutzkellern. Der Propagandaminister Joseph Goebbels, Hitlers getreuester Mann, sitzt in seinem Büro und hört eine Rundfunkübertragung, das Bach’sche Air aus der D-Dur-Suite. Furtwängler und seine Philharmoniker nehmen ein extrem breites Tempo. Goebbels schreibt in sein Tagebuch: „Ich höre im Rundfunk eine Stunde lang Bach. Man fühlt sich geradezu wie neugeboren, wenn man aus den Tröstungen der Musik neuen Mut schöpft.“